SERIE
Von Roland Norget

Schon vor der Hochzeitsnacht wird der Braut von Heinrich VIII. klar: Der König von England würde seine neue Ehefrau niemals liebhaben. Doch Pech in der Liebe kann Glück im Spiel bedeuten.

Westminster, Whitehall Palace. Sonntag, 7. März 1540. Fastenzeit – noch drei Wochen bis Ostern! Es ist ungewöhnlich warm. Kein Lüftchen weht am Themseufer. Der Gesang der Feldlerchen am wolkenlosen Himmel über den weitläufigen Parks von Whitehall ist rauh – kein rhythmisches Trillern. Keine Wolke zum Schweben! Nicht einmal die lauen Frühlingsnächte vermögen das Königspaar in Stimmung zu bringen.

Nach dem planmäßigen Umzug des Hofes von Greenwich nach Westminster am 4. Februar scheint der Hofalltag seinen gewohnten Gang gefunden zu haben. Das schöne Wetter, das seit Wochen anhält, verbreitet gute Stimmung. Königin Anna dagegen erlebt dunkle Zeiten, die ihre Seele frösteln lassen, und von Hoffen und Bangen erfüllt sind.

Das farbenprächtige „Mumming“ (Mummenschanz) mit fünftägigen Vergnügungen rund um Whitehall hatte Anna ein wenig aufgemuntert. Nicht erst seit Aschermittwoch ist wohl alles vorbei! Heinrich ist zwar stets galant, wenn auch wenig empathisch. Als Paar zeigen sie sich häufig in der Öffentlichkeit – nach außen glücklich, innerlich todunglücklich.

Anna ist sonnenklar: Heinrich würde sie niemals liebhaben! Wie würde es weitergehen? Schauen wir zurück auf den Dreikönigstag, an dem Annas Ehedesaster so richtig Fahrt aufnahm.

Der Hochzeitstag begann mit protokollarischen Turbulenzen. Nach dem Willen des Bräutigams hatte Cromwell als Verursacher des Ehedesasters seinen Gang nach Canossa – sprich: zum Traualtar – mitzugehen. Dazu merkte der „Muss-Bräutigam“ bissig an: „Mein Herr, wenn es nicht darum ginge, die Welt und Mein Reich zufriedenzustellen, dann würde ich für nichts auf der Welt das tun, was ich heute tun muss!“

In den Kammern der Braut herrschte derweil höchste Anspannung und Geschäftigkeit. Die Braut wurde für die Trauung von ihren Hofdamen eingekleidet und mit wertvollem Perlenschmuck ausgestattet. Annas Brautkleid wie ihre gesamte neue Garderobe hatte der im Oktober 1539 zusammen mit Susanna nach Schloss Burg angereiste, königliche Schneidermeister William Wilkinson nach Vorgaben von Annas Mutter aus edlen Stoffen landestypisch maßgeschneidert. Ihr langes blondes Haar zierte ein Rosmarinzweig – wie damals bei ihrer Schwester Sibylle vor ihrer Torgauer Hochzeit. Lucas Cranachs berühmtes Sibylle-Gemälde erschien vor Annas Augen. Der Anblick der anmutigen, hochgewachsenen Braut fand allseits Wohlgefallen – mit Ausnahme des missgelaunten Bräutigams!

Dann ging alles Schlag auf Schlag. Graf Wirich V. von Daun-Falkenstein und Herr zum Oberstein – von den Engländern schlicht „Oversteyn“ genannt – war der Auserwählte, der Anna zum Traualtar führte. Seine Tante Petrissa von Daun, frühere Äbtissin vom Neusser Quirinstift, ist Annas Taufpatin. Graf Wirich wie auch Hofmeister von Hochsteden waren 1527 Siegler und Zeugen von Annas Verlobungsvertrag. Der hoch angesehene Graf Wirich ist Delegationsleiter von Annas Brautreise, kursächsischer Hofrat und herzoglicher Sonderdiplomat.

Ein „Kingsize“-Bett als Spielwiese

Erzbischof Cranmer traute das Paar, und der Bräutigam streifte routiniert wie teilnahmslos seiner vierten Angetrauten den Ehering über. Der Ring trägt die Inschrift „Gott schickt mich, um Gutes zu bewahren.“ Danach schritten alle zum Ort des höfischen Aktes „Beylager“. Anna bekam das nagelneue Prunkstück von Ehebett aus bester Eiche erstmals zu Gesicht. Erzbischof Cranmer segnete das übergroß dimensionierte „Kingsize“- Bett und vor aller Augen wurde die Ehe vollzogen – natürlich rein symbolisch!

Das Kopfteil des Bettes ist reich verziert und mit den Insignien H & A gekennzeichnet. Neugierige Blicke musterten die äußerst freizügigen Schnitzfiguren mit Fruchtbarkeitssymbolen. Ein Jüngling mit Phallus ist links und eine Jungfer mit Babybauch rechts platziert. Der sehnlichst erhofften Zeugung des „Prince of York“ schien nun nichts mehr im Wege zu stehen…

Eine kurze Messe schloss sich an, dann ging’s zum Festschmaus und anschließend wurde geschwoft. Die frisch Getrauten verschwanden zum Verständnis aller schon bald in ihren Privatgemächern. Die unaufgeklärte Jungfrau dürfte mächtig aufgeregt gewesen sein.

Ruhig Blut, junge Frau, es kommt meist anders, als man denkt. Und siehe da: Das prachtvolle Ehebett entpuppte sich in den folgenden Stunden tatsächlich als vergnügliche „Spielwiese“ der besonderen Art – nur anders als gedacht..! Der Ehemann fühlte sich nicht im mindesten animiert. Wider Erwarten vergnügte sich das Paar dennoch, wenn auch auf wenig erotische Art: Die Unglücklichen spielten die ganze Hochzeitsnacht über nichts anderes als Karten..!

Später gab Heinrich vor und zu Protokoll, er habe die Lust verloren, als er seine Ehefrau „inspiziert“ habe, so dass er weder damals noch überhaupt in der Lage sei, die Ehe mit ihr zu vollziehen. Und so ging das Nacht für Nacht, Woche für Woche: Glück im Spiel – Pech in der Liebe!

Wie Anna ihre Schmach als verstoßene Königin bravourös bewältigt, sich aus Abhängigkeiten befreit, eine einzigartige „Karriere“ als Lady Anna hinzaubert, zur hochgeschätzten Royal First Lady aufsteigt, sich nach Heinrichs Tod als Überlebenskünstlerin erweist – darüber und mehr wird demnächst in einem Buch zu lesen sein…


Demnächst: Ein neues Buch über Anna von Cleve

Anna von Cleve war die vierte der sechs Gemahlinnen des englischen Königs Heinrich VIII. Eine Niederrheinerin wurde Königin von England – zumindest war das der Plan ausgeklügelter Heiratspolitik. Doch es kam anders. Ein gebürtiger Klever, Roland van Gisteren, macht sich daran, die Geschichte Anna von Cleves aufzuarbeiten. Bald erscheint sein Buch, wir werden berichten…


Quelle: NRZ, Roland Norget, 07.03.2020

In der Serie erschienen:

Anna von Cleve: Freudensalut für die neue Königin

Anna von Cleve: Die Brautreise

Anna von Cleve: “Blitz-Treffen” mit Folgen

Anna von Cleve: Romantik mit Brief und Siegel

Anna von Cleve: Anna und ihr geplatzter Traum